Eröffnungsrede von Mag. Volker Toth zur Ausstellung Paul Raas „Strukturen der Wirklichkeit“
“Strukturen der Wirklichkeit”, zwei starke Begriffe, die Paul Raas hier addiert und über seine Arbeit stellt.
Strukturen begegnen wir in vielfältiger Weise. Spuren im Sand, Kanäle die ein Borkenkäfer in der Rinde eines Baumes hinterlässt, verborgene Strukturen, selbstorganisierende Strukturen bis hin zur Verteilung der Galaxien im Kosmos. Strukturen zeigen uns was da war, wann es etwas war und was in der Folge sein wird. Wir dechiffrieren Strukturen und lernen aus Ihnen und wir schaffen Modelle von Strukturen um zu verstehen was sein könnte.
Wirklichkeit ist alles Reale. Also eigentlich alles mögliche. Kein Schein, kein Traum. Und doch ist die Wirklichkeit in der Kunst immer etwas anderes. Der Realismus zeigt wirkliche Dinge, aber verbirgt sich dahinter nicht oft vieles, das wir nicht angreifen und messen können, vieles, das uns unwirklich erscheinen mag?
Wie ist das mit den Ästen von Bäumen, wie wir sie hier in den Bildern finden? Jeder Verzweigung des Astes sind unendliche viele Entscheidungen voraus gegangen. Der Wind, die Sonne, der Mensch, der Zufall, die Ordnung, das Chaos… Jede noch so kleine Struktur könnte tausend Geschichten erzählen. Und wenn wir Zuhören lösen wir nicht nur botanische und physikalische Fragen, sonder kommen der Schöpfung und uns selbst eine Schritt näher.
„Strukturen der Wirklichkeit”. Was meint Paul Raas damit?
Ich habe ihn danach gefragt und er hat mir mit der Schilderung zur Entstehung eines seiner Bildes geantwortet:
Im Anfang ist alles Farbe. Die Malplatten aus Holz oder Karton werden bunt grundiert und Ton in Ton werden weitere Farbschichten aufgetragen, gespachtelt und bemalt. Knallgrün, Tiefrot, Safrangelb, Oka, Gold und Blau – meist Indigoblau. Hier malt das Unterbewusste und erste Strukturen legen sich als Erhöhungen, Vertiefungen, Kanäle und Farbnuancen auf die Malplatte.
Dann kommt die Zeit – und die Farbe der Zeit ist weiß. Die Zeit verdünnt alles. Paul Raas übertüncht die bunten Mallandschaften, läßt erhabene Farbtupfer wie kleine Berggipfel und Grate aus dem Weiß ragen und reibt mit Spachteln so über die Fläche, dass jede Struktur, jede im ersten Malgang erfolgte Entscheidung erhalten bleibt. Mal mehr und mal weniger. Je nachdem, wie stark die Spuren der Zeit sind.
Nach diesem Prozess haben wir ein wunderbares abstraktes Bild. Man kann sich in den Strukturen und Flächen meditativ verlieren, man findet verborgene Wesen, Botschaften und ein großes Gefühl der Ruhe und Klarheit. Doch der Einstieg und das Umherwandern in einem solches Bild ist nicht einfach. Abstrakte Kunst kann ganz im Stillen so vieles ausdrücken, doch diese Vielfalt und Zurückgezogenheit kann ihr in einer so schnellen Zeit wie der unseren auch zum Verhängnis werden. Man muss … kann also mehr tun, um solche Bilder zu öffnen.
Paul Raas bedient sich dazu einer seiner ausgeklügelten künstlerischen Techniken, um den Betrachter regelrecht in seine Mal- und Gedankenwelt hinein zu ziehen. Er erzeugt Tiefe, in dem er seine “Strukturen der Wirklichkeit” mit eine selbst entwickelten fotografischem Hochdruckverfahren – ähnlich dem alt hergebrachten Holzschnitt – vor das abstrakte Sujet stellt. Da steht ein Berg in tiefem Schwarz wuchtig am unteren Bildrand, da verteilt sich feines Geäst wie ein Netz über das Bild, da tummeln sich Schattenrisse von Fischen in den Tiefen der Bildkomposition.
Paul Raas nennt diesen Arbeitsschritt “die Information auftragen”. Es ist wie das Schreiben mit Bildern auf Bilder. Ein paar Sätze eines virtuellen Begleiters, der einen in das Bild begleitet.
Alles ist Information. Alles ist zugleich Sein und Traum.
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit den hier gezeigten Arbeiten. Jede Minute, die sie Sie betrachten, ist eine wertvolle Minute. Das müssen Sie mir glauben!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Die Ausstellung ist hiermit eröffnet.
Mag. Volker Toth
Donnerstag, 12. Mai 2016
Galerie der Privatklinik Wehrle-Diakonissen