Eröffnungsrede von Christoph Janacs zur Ausstellung “Kunstraum: Atelier”
Kunstraum: Atelier
Einführung, gehalten am 22. Jänner 2016 in der BV Salzburg
Wer das Atelier eines Bildenden Künstlers / einer Bildenden Künstlerin betritt, wähnt sich schon nach wenigen Augenblicken in einer verzauberten Welt. Anders als in den Schreibstuben von DichterInnen, in denen es meist nicht viel mehr zu betrachten gibt als zahllose Blätter, Notizzettel und Bücher (sofern sich das alles nicht nur noch digital in einem Computer verbirgt), oder den Komponistenklausen, wo, wenn es hoch hergeht, ein Klavier, meist aber nur noch ein Musikcomputer steht mit vielleicht doch noch ein paar analogen Notenblättern darauf und davor, gibt es in den Werkstätten und Ateliers nicht bloß viel zu schauen und zu betrachten, sondern auch anzufassen und – zu riechen. Ein Atelier ist ein, im wahrsten Sinn des Wortes, sinnlicher Ort, in dem nicht bloß das Auge und der reflektierende Verstand angesprochen werden, sondern alle Organe, die uns die Welt – oder besser: das, was wir als Welt zu verstehen und zu begreifen glauben – sichtbar und eben auch begreifbar und begehbar machen. Kein Wunder also, daß der Blick in ein Atelier nicht nur höchst aufschlußreich ist, sondern von den KünstlerInnen wiederholt zum Thema gemacht wurde und wird – man denke nur an so berühmte Beispiele wie Jan Ver- meers Die Malkunst, Gustave Courbets und Max Liebermanns Das Atelier des Künstlers oder Ernst Ludwig Kirchners Bergatelier, ganz zu schweigen von den zahllosen Gemälden, in denen sich die KünstlerInnen mit ihren Modellen zusammen abbildeten und es noch immer tun. Freilich ist so ein Blick, den uns die KünstlerInnen in ihre Ateliers gewähren, kein zufälliger oder beiläufiger: da sind die Dinge arrangiert, manches ist weggelassen, anderes hinzugefügt, hat seine besondere Position bekommen, wird unübersehbar ins Bild oder mit Understatement an den Rand gerückt. Wer dem Publikum die Tür zu seiner Werkstatt öffnet, will sich nicht bloß über die Schulter blicken lassen, er trifft eine Aussage – über sich, seine Arbeit, seinen Blick auf die Welt.
Das Ungewöhnliche der Ausstellung, die heute eröffnet wird, ist nun, daß nicht wir BesucherInnen in die Ateliers kommen, sondern sieben KünstlerInnen zu uns gekommen und in sieben Räumen ihre Werkstätten und Ateliers aufgebaut haben oder besser: das, was sie uns zu zeigen gewillt sind. Es sind künstliche und zugleich künstlerische Arrangements, die sie getroffen haben und die uns BetrachterInnen auf je eigene Weise an-sprechen, mit hineinnehmen in eine Welt der Schöpfung und der Arbeit – oder auch draußen lassen, befremdet und angezogen zugleich.
Schon der erste Raum, durch den wir das Gebäude betreten haben, ist so eine sinnenhafte und sinnreiche Welt: Da blicken uns Steine an – der eine verschmitzt, der andere erstaunt, ein dritter abweisend, ein vierter ganz in sich versunken –, maskenhafte Gesichter sind es, die uns da begegnen, noch ganz dem Stein, dem sie zu entwachsen scheinen, verhaftet, halb Fels und halb Mensch. Skizzen, Entwürfe, erste plastische Versuche weisen uns dabei den Weg vom Unbehauenen, Unbehausten zur menschlichen Gestalt – besonders schön nachvollziehbar bei einem im Werden befindlichen Fries: am linken Ende schauen uns schon fertige Gesichter an, dann folgen, als wüchsen sie wieder zurück in den Stein, unfertige Physiognomien, in denen sich erst erste Züge zeigen, bis am Ende der rohe Marmor übrigbleibt mit ersten Strichen und Konturen, Andeutungen eines künftigen Antlitzes. Walter Meierhofer hat sie geschaffen und zeigt uns anschaulich den schrittweisen Ablauf der Entstehung eines Kunstwerks.
Dahinter, fast verborgen, passend zur Zurückhaltung der Künstlerin, der kleine druckgraphische Raum der Renate Wegenkittl: links die Druckerpresse, daneben ein Tisch mit Farbwalze, Druckplatten, Farbtuben, Handschuhen, an den Wänden fertige Drucke, aber auch farbintensive Malereien (quasi der Gegenpol zu den der Abstraktion zugeneigten Radierung im Œvre Wegen- kittls). Drucken ist eine ebenso aufwändige wie kräfteraubende und das Fingerspitzengefühl er- fordernde Tätigkeit wie das Behauen von Steinen. Und erst nach mehreren Arbeitsgängen ist das fertige Kunstwerk zu sehen, Abbild und Spiegelbild eines Denk- und Arbeitsvorganges, der nicht nur Druckplatte sowie Fingerkuppen und -nägel der Künstlerin und deren Trinkglas einfärbt, sondern auch den Blick von uns Betrachtern auf eine Wirklichkeit, derer wir uns nach dem Studium ihrer Bilder nicht mehr so sicher sein dürfen wie ehedem.
Ganz der Erde, dem Sand und deren farbigen Vielfalt verhaftet und, wie es scheint, in tiefer Zu- neigung verbunden ist Heidi Zenz, die den Raum rechts der Treppe gestaltet hat. Da finden sich zahlreiche Gläser, Flaschen und Säckchen mit Farbmaterialien, Pinsel, Tücher und an den Wän- den fertige, sehr stille, fast meditative Arbeiten, gewonnen alle aus den Naturfarbtönen, die die Erde hergibt. An die dreihundert Farbnuancen soll ihre Sammlung umfassen, die sie nach den Fundorten archiviert und nummeriert hat und von denen ein paar Beispiele an der gegenüberliegenden Wand ausgestellt sind. Und ich wette, Heidi Zenz wird noch viele weitere Farbschattie- rungen finden. Am Ende ist die Welt vielleicht sogar unendlich vielfarbig – auch wenn wir wissen, daß die Welt nicht bunt ist und nur wir sie so sehen, wie wir sie sehen.
Auch die Arbeiten im nächsten Raum verweisen auf die Welt oder besser: die Natur und ihr zerstörerisches Gegenüber, den Menschen. Jutta Brunsteiners Œvre wie Techniken sind äußerst vielfältig – Photographie, Zeichnung, Malerei, Installation sowie Druckgraphik und Projektarbeiten finden sich bei ihr –, meist beginnt sie sehr farbig und mit großem Gestus, um dann mit an- deren Materialien über das Gemalte zu gehen und es wieder zu reduzieren, um an das ihr Wesentliche heranzukommen. Ihren Werken sieht man den Kampf an, die wilde Kraft, bisweilen auch den Zorn, immer aber auch die Zärtlichkeit und Wärme, mit der sie der Welt begegnet. „Meine Arbeiten“, schreibt sie, „sollen die Achtsamkeit des Betrachters gegenüber der Naturverstärken.“ Achtsamkeit im doppelten Wortsinn: etwas genau betrachten und es bewahren, be- hüten.
Ganz anders Paul Jaeg im nächsten Zimmer: bei ihm muß man immer auf Unerwartetes, Unorthodoxes, auf das Äußerste gefaßt sein, und ob er es ernst, ironisch oder gar sarkastisch meint, ist nie so ganz ausgemacht. Ob wild, farbprächtig, konkret oder abstrakt, ganz reduziert auf wenige Striche – immer sind seine Bilder auf Konfrontation aus, wollen Grenzen überschreiten, provozieren und Tabus brechen. Kompromisse scheint er nicht zu kennen, viel eher das Leiden an Grenzen und eigener wie fremder Beschränktheit. Und wenn er in seinem Atelier – allein oder zusammen mit Freunden – arbeitet und seine wilden und zugleich filigranen Gebilde aufs Papier bringt, dann kann es schon geschehen, daß er unvermittelt zu Zither, Trompete oder Diatonischer greift und den Kritikern wie Kollegen und Freunden den Marsch bläst und seine Bilder dazu zu tanzen beginnen.
Wieder ganz anders die Bilder im nächsten Raum: Wer ihn betritt, sieht zunächst einmal zwei großformatige Akte – links eine einfarbige Rückenansicht, rechts ein ganz in orangeroten Tönen gehaltener Torso –, aber was dann gleich ins Auge springt, sind die farbkräftigen Bergansichten in Öl-Spachteltechnik. Helene Maria Schorn hat sie gemalt und malt sie noch immer, verfallen den Bergen ihrer Heimat, vor allem aber dem Manaslu, einem 8000er Massiv im Himalaya, zu dem sie eine ganz besondere Beziehung entwickelt hat. An der Wand neben der Staffelei mit dem Manaslu sechs übereinander angeordnete schwarz-weiße Arbeiten ebenfalls mit Bergmotiven. Gerade dieser Kontrast ist besonders reizvoll, macht er doch deutlich Möglichkeiten und Grenzen der realistischen Malerei und wie diese überwunden werden können durch Überhöhung und Transzendierung.
Zuletzt nun der Raum, in dem wir uns eingefunden haben und in dem – so befindet ein großes Schrifttransparent – das Nichts jetzt schon vorbei ist. Es ist das Atelier des Paul Raas, eines Konzeptkünstlers, eines „künstlerischen Forschers und forschenden Künstlers“, wie er sich selbst beschreibt, und, wie mir scheint, eines künstlerisch schaffenden Philosophen, der uns Einblick gewährt in die vielfältigen Techniken von Zeichnung, Malerei, Druckgrafik und Computerarbeit und Andeutungen gibt über seine philosophischen Ansätze und Denkprozesse, sein Spiel mit Notizen, Skizzen, optischen Experimenten und Verweisen quer durch Kunstgeschichte und Kulturen. Dazu muß man den Arbeiten schon nahetreten, um ihnen auf die Schliche zu kommen; dann aber eröffnet sich ein Kosmos, in dem das Nichts wie die Hintergrundstrahlung im All durchscheint und gleichzeitig überwunden ist.
Ich denke, es ist gut und notwendig und folgerichtig, mit Walter Meierhofer begonnen zu haben und beginnen zu müssen, wenn man die Ausstellung besuchen will, und mit Paul Raas zu enden: so schließt sich der Kreis und öffnet sich in einem. Und jetzt treten Sie ein in die Werkstätten und Ateliers und Kosmen, treten Sie ein und werden Sie Teil dieser Räume und nehmen Sie teil an den schöpferischen Vorgängen und bleiben Sie um der KünstlerInnen willen nicht teilnahmslos!
Christoph Janacs